Stell dir vor, du bist eine Kaffeetasse. Robust, verlässlich, funktional. Jeden Tag füllt sich dein Inneres mit heißem Kaffee oder Tee, du stehst unter Belastung, aber du funktionierst – immer. Doch was passiert, wenn diese Tasse fällt und in viele Stücke zerbricht?

Mein Leben vor dem Krebs – die unerschütterliche Tasse

Vor meiner Krebsdiagnose war ich genau diese Tasse. Ich bin oft gefallen, habe Stürme überstanden, war mal überfordert, mal müde – aber ich habe funktioniert. So wie immer. Ich habe meinen Alltag bewältigt, meine Aufgaben erfüllt, mich um andere gekümmert. Ich war da.

Der Tag X – als alles zerbrach

Dann kam der Moment, der mein Leben in „davor“ und „danach“ teilte. Meine Krebsdiagnose. Es fühlte sich an, als ob meine Tasse mit voller Wucht auf den Boden geschmettert wurde. Nicht nur ein kleiner Riss – sie zerbrach in unzählige Teile.

Von da an folgte eine Zeit voller medizinischer Behandlungen, Operationen, Bestrahlungen, Reha, psychologischer Unterstützung. Jeder Schritt war darauf ausgerichtet, mich „wiederherzustellen“. Aber bedeutet Krebs wirklich, dass man am Ende wieder gesund ist? Oder bedeutet es, dass man lernt, mit einem neuen Zustand zu leben?

Die geflickte Tasse – mein Leben nach dem Krebs

Heute bin ich krebsfrei. Keine nachweisbaren Krebszellen. Doch bin ich gesund? Das ist eine andere Frage. Ich stehe unter ständiger Kontrolle, damit wir sofort reagieren können, falls sich wieder etwas regt. Aber mein Körper, meine Seele – sie sind nicht mehr die gleichen.

Meine Tasse wurde repariert. Doch nicht mit gewöhnlichem Kleber, sondern mit Gold. So wie in der japanischen Kunst des Kintsugi, bei der Zerbrochenes nicht versteckt, sondern mit Gold betont wird, um die Geschichte seiner Brüche sichtbar zu machen.

Ich bin immer noch eine Kaffeetasse. Doch ich bin nicht mehr die gleiche. Ich bin empfindlicher, verletzlicher. Ich brauche mehr Achtsamkeit, mehr Verständnis – von mir selbst und von anderen. Wenn du mich wie vorher behandelst, als wäre nichts gewesen, könnte ich wieder zerbrechen. Und diesmal vielleicht in so viele Teile, dass ich nicht mehr zusammenzusetzen bin.

Ein neues Leben – mit goldenen Narben

Vielleicht werde ich eines Tages wieder so belastbar wie früher. Vielleicht auch nicht. Aber das ist in Ordnung. Denn in meinen Rissen liegt meine Geschichte. Und das Gold, das mich zusammenhält, macht mich nicht nur besonders – es macht mich wertvoll.

Meine Tasse ist nicht mehr perfekt. Aber sie ist wunderschön.